Mentale Stärke oder mentale Überforderung?
Viele Führungskräfte halten sich für mental belastbar. Schließlich haben sie gelernt, mit Druck umzugehen, schnell zu entscheiden und trotz Erschöpfung leistungsfähig zu bleiben. Doch genau das wird zum Problem: Wer Leistung mit Gewohnheit verwechselt, reagiert, statt zu führen. Aktuelle Studien zeigen, dass viele Führungskräfte ihre kognitive Präsenz und mentale Klarheit überschätzen. Sie glauben, klar zu denken, obwohl ihr Gehirn längst im Reizmodus agiert und strategische Tiefe verloren hat.
Mentale Leistung ist keine Konstante, sondern ein dynamischer Zustand. Sie hängt von Klarheit, Fokus, emotionaler Selbststeuerung und der Fähigkeit ab, trotz Stress kreativ und lösungsorientiert zu bleiben. Wer diese Fähigkeiten nicht aktiv trainiert, verliert sie. Die Folgen reichen von Denkblockaden über schlechte Entscheidungen bis hin zu vermeidbaren Konflikten im Team. Es geht nicht um persönliche Schwäche, sondern um ein weit verbreitetes Führungsparadox: Man soll andere durch stürmische Zeiten navigieren, hat aber keinen Zugriff mehr auf die eigenen inneren Ressourcen.
Mentale Erschöpfung fällt nicht auf
Mentale Erschöpfung ist ein stiller Prozess und wird oft lange übersehen. Nicht erst in Krankheitstagen, sondern schon viel früher macht sie sich bemerkbar: in nachlassender Konzentration, sinkender Präsenz, wachsender Gereiztheit. Entscheidungen fallen schwerer, kreative Impulse bleiben aus, Gespräche im Team verlieren an Substanz. Immer öfter werden Aufgaben weggeschoben, delegiert oder verdrängt, bis die Belastung kaum noch zu verbergen ist.
Wer so handelt, funktioniert, aber führt nicht wirklich. Führung im Blindflug bedeutet, auf Autopilot zu laufen und die eigene Steuerung aus der Hand zu geben. Das ist gefährlich: Denn was verborgen bleibt, lässt sich nicht verändern.
Unternehmen im kognitiven Ausnahmezustand
Organisationen sind der Spiegel ihrer Führungskultur. Wenn mentale Überforderung im oberen Management ignoriert wird, bleibt sie nicht folgenlos. Sie verändert Entscheidungen nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Art, wie sie getroffen werden: zögerlicher, reaktiver, weniger durchdacht. Sie verändert auch, wie Gespräche geführt werden: mit weniger Präsenz, mit geringer Aufmerksamkeitsspanne. Und sie verändert, wie Verantwortung wahrgenommen wird: oft nur noch als Belastung, nicht mehr als Gestaltungsspielraum. Was folgt, ist selten ein plötzlicher Einschnitt. Viel typischer ist ein stetiger Verlust an Orientierung. Entscheidungen, die vertagt werden. Prioritäten, die verschwimmen. Spannungen, die unausgesprochen bleiben. Mentale Überforderung wirkt also selten eruptiv und genau darin liegt ihr Risiko.
Viele Unternehmen investieren in Prozessoptimierung, Digitalisierung und Teamentwicklung, aber lassen das größte Potenzial unangetastet: das Denkvermögen ihrer Führungskräfte. Es fehlt ein systemischer Blick auf mentale Energie, emotionale Resilienz und kognitive Klarheit. Dabei wäre genau das der Hebel, der Organisationen schneller, innovativer und stabiler machen kann.

Mentaltraining als strategisches Führungsinstrument
Mentale Leistungsfähigkeit ist trainierbar. Und zwar nicht mit Selbstoptimierungsritualen oder Achtsamkeits-Apps, sondern mit fundiertem Mentaltraining.Dabei geht es nicht um Wellness, sondern um geistige Präsenz, verstanden als die Fähigkeit, auch unter Druck aufmerksam zu bleiben, Entscheidungen bewusst zu treffen und auf den Punkt zu kommunizieren.
Professionelles Mentaltraining kombiniert Erkenntnisse aus Neuropsychologie, Verhaltenstraining und Performance-Coaching. Es schafft Räume für Reflexion, hilft, mentale Muster zu erkennen, verbessert die Selbstwahrnehmung und stärkt die innere Handlungsfähigkeit. Führungskräfte lernen, ihre mentale Energie zu steuern und das nicht erst im Burnout-Coaching, sondern präventiv und strategisch.
Lilie Basel, Leadership-Trainerin mit neurowissenschaftlichem Fokus, betont: „Kognitive Präsenz ist kein Zufall, sondern das Ergebnis von gezieltem Training. Wer mental klar ist, trifft Entscheidungen qualitativ besser, führt sicherer und kommuniziert authentischer..“ Ihre Trainings setzen genau dort an, wo klassische Führungskräfteentwicklung oft endet: bei der inneren Struktur.
Wie messbar ist mentale Klarheit?
Was sich nicht messen lässt, wird in Unternehmen oft nicht ernst genommen. Genau deshalb ist es entscheidend, mentale Leistungsfähigkeit nicht nur zu fördern, sondern auch sichtbar zu machen. Ein möglicher Ansatz: Soft-KPIs wie Entscheidungsgeschwindigkeit, Entscheidungsqualität, Eskalationshäufigkeit oder Meeting-Effizienz könnten Hinweise darauf liefern, wie präsent eine Führungskraft tatsächlich agiert.
Zusätzlich ermöglichen moderne Diagnostiktools (wie z. B. neurokognitive Belastungsanalysen oder Stressindizes) eine differenzierte Betrachtung. So lässt sich Mentaltraining als Bestandteil einer ganzheitlichen Leadership-Strategie nicht nur individuell gestalten, sondern auch in bestehende Führungsprozesse integrieren.
Drei Fragen, die jede Führungskraft sich stellen sollte
- Wann war ich das letzte Mal wirklich präsent in einem Gespräch, wirklich da, ohne innerlich weiterzuarbeiten?
- Treffe ich Entscheidungen im Sinne aller Beteiligten oder nur, weil ich unter Druck stehe?
- Würde ich meinem Team wünschen, unter den gleichen Bedingungen zu arbeiten wie ich gerade?
Die Antworten geben ein Gefühl dafür, wie es um die eigene Präsenz steht und was sich verändern lässt. Wer keine klaren Antworten findet und Konsequenzen ableitet, führt im Blindflug.
Führung braucht mentale Wartung
Ein Unternehmen würde niemals auf regelmäßige Systemupdates verzichten. Warum also ignorieren so viele Führungskräfte die Wartung ihres wichtigsten Führungsinstruments – ihres eigenen Gehirns?
Oft liegt die Antwort in alten Denkmustern: Wer stark ist, braucht keine Unterstützung. Wer viel leistet, hat keine Zeit für mentale Selbstpflege. Doch das ist ein Irrtum mit teuren Konsequenzen. Die besten Köpfe verlassen Organisationen nicht wegen ihrer Arbeit, sondern wegen der Art, wie geführt wird.
Führung erfordert heute mehr als Fachwissen und braucht Klarheit, Selbstwahrnehmung und mentale Stabilität. Wer das versteht, schafft bessere Ergebnisse und ein Umfeld, in dem Leistung Freude macht und Menschen ihr Potenzial entfalten.
Fazit
Führen im Blindflug ist kein Ausnahmefall, sondern ein strukturelles Risiko in modernen Organisationen. Wer mentale Leistungsfähigkeit im Alltag ignoriert, zahlt mit Fluktuation, Fehlentscheidungen und sinkender Innovationskraft. Mentaltraining ist keine Sofortlösung, sondern eine langfristige Investition in Zukunftsfähigkeit.
Führung beginnt im Kopf. Und genau dort sollte sie regelmäßig trainiert werden.
Über die Autorin
Lilie Basel ist Kommunikationswissenschaftlerin (M.A.) und zertifizierte Mentaltrainerin mit langjähriger Erfahrung in IT- und Digitalprojekten. Als Gründerin von hell&wach® entwickelt und leitet sie wissenschaftlich fundierte, maßgeschneiderte Trainings und interaktive Vorträge zu Resilienz, Gedächtnis und mentaler Klarheit. Sie befähigt Führungspersönlichkeiten, Organisationen und Teams, in Zeiten von digitalem Wandel, Informationsflut und komplexen Arbeitswelten Orientierung zu finden, Wissen gezielt zu verankern und ihre Widerstandskraft nachhaltig zu stärken.
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