Ein Gespräch mit Yvonne Lehner über Beratung, die den Menschen wirklich sieht – und warum Humor genauso heilsam ist wie Berührung.
Wenn Yvonne Lehner über ihre Arbeit spricht, wird schnell klar: Hier geht es nicht um klassische Therapie, sondern um ein tiefes Erinnern daran, was Heilung eigentlich bedeuten kann. Körper, Geist und Seele – für viele nur Floskeln. Für die Hamburgerin ist das Dreieck ein Arbeitsprinzip. Sie führt eine Praxis, die Beratung, Körperarbeit und energetisches Bewusstsein verbindet – mit Herz, mit Bodenhaftung und mit der Überzeugung, dass jeder Mensch mehr ist als ein Symptom. In unserem Gespräch erklärt sie, warum Beratung neu gedacht werden muss.
Yvonne, Sie sagen: „Beratung muss den ganzen Menschen sehen.“ Was meinen Sie damit konkret?
Die meisten Herausforderungen, mit denen Menschen zu mir kommen, sind nicht rein psychischer oder körperlicher Natur. Alles hängt zusammen – Emotionen, Körperreaktionen, Energien. Klassische Beratung arbeitet vor allem mit Sprache. Doch was passiert, wenn Worte nicht ausreichen? Dann braucht es Räume, in denen sich auch das zeigen darf, was jenseits des Sagbaren liegt. Viele Menschen, die an feinstoffliche Ebenen glauben, fühlen sich in klassischen Settings oft nicht ernst genommen. Ich finde: Das darf und muss sich ändern.
Und wie zeigt sich diese Trennung im Praxisalltag Ihrer Klient*innen?
Besonders eindrücklich war ein 60-jähriger Mann, der zum ersten Mal in seinem Leben weinend sagte: „Ich glaube ans Universum.“ Sein gesamtes Umfeld war dagegen geprägt von Rationalität. Allein diese Erlaubnis, es auszusprechen – gehalten, nicht bewertet – hat so viel in ihm bewegt. Danach hat sich seine Stimmung sichtbar gehoben, sein Körper entspannte sich, er konnte lachen. Die Last des Verschweigens hatte sich gelöst. Solche Momente zeigen, wie stark der Körper auf seelische Entlastung reagiert – und wie viel im energetischen Raum gespeichert ist.
Warum fällt es uns so schwer, Sexualität oder den Körper heilig zu sehen – anstatt nur funktional oder pornografisch?
Weil wir es nicht gelernt haben. Viele Menschen bekommen in ihrer Kindheit entweder gar keine oder eine verzerrte Aufklärung – sei es durch religiöse Tabus, elterliche Scham oder kulturelle Normen. Später kommt dann der Einfluss pornografischer Inhalte, die oft rein leistungs- oder lustorientiert sind. Dabei kann Sexualität ein heiliger, tiefer Raum sein – aber das verlangt Zeit, Hingabe und Offenheit, sich selbst wirklich zu begegnen.
Welche Rolle spielt Spiritualität in Ihrer Arbeit – und wie bleiben Sie dabei „geerdet“?
Spiritualität ist kein Ersatz für medizinische Behandlung – aber sie ist ein enormer Unterstützer. Sie gibt Halt, öffnet neue Perspektiven auf Schmerz und Heilung. Wichtig ist, dass wir nicht dogmatisch werden. Mir geht es darum, dass alle Methoden – ob schulmedizinisch oder energetisch – ihren Platz haben. Es braucht Respekt zwischen den Disziplinen, keine Abgrenzung. Dann kann Heilung ganzheitlich geschehen.
Sie sagen: „Energiearbeit beginnt, wo Worte enden.“ Was passiert dort genau?
Unser Körper speichert alles. Jede Erfahrung ist in den Zellen abgelegt. Wenn wir also aufhören zu reden und beginnen zu spüren, eröffnen sich neue Wege. Wir erkennen Zusammenhänge, ohne sie benennen zu müssen. Methoden wie EMDR, Craniosacrale Therapie oder Neurogenes Zittern ermöglichen genau das – eine tiefe Verarbeitung ohne Wiederholung alter Geschichten.
Wie können Männer und Frauen konkret von dieser neuen Art der Beratung profitieren?
Indem sie sich ihren eigenen Bildern von Männlichkeit und Weiblichkeit stellen – und sich fragen: Woher kommen diese Vorstellungen? Was davon gehört wirklich zu mir? Wenn wir das reflektieren, entsteht Mitgefühl – für uns selbst und andere. Und aus Mitgefühl entsteht Nähe. Das ist der erste Schritt zu echter Verbindung.
Viele Menschen sehnen sich nach „Ganzheit“, bleiben aber skeptisch gegenüber alternativen Methoden. Was sagen Sie dazu?
Skepsis ist gesund. Es gibt überall gute und schlechte Anbieter – auch im Coaching. Ich lade Menschen ein, auf einer Messe vorbeizuschauen, sich umzusehen, Fragen zu stellen, zu spüren: Fühlt sich das stimmig an? Vertrauen entsteht nicht über Werbung, sondern über Begegnung. Wenn das Bauchgefühl passt, entsteht Offenheit.
Wie können wir eine heilige Sexualität wiederentdecken?
Nur über Eigeninitiative. Niemand kann das für uns tun. Es beginnt mit der Frage: Will ich mehr als das, was ich bisher erfahren habe? Wer diese Reise antritt, entdeckt, dass Sexualität nicht nur in Genitalien stattfindet, sondern im ganzen Körper – in Energieflüssen, im Atem, in der Präsenz. Es gibt großartige Bücher, Seminare, Berater*innen, die dabei begleiten. Aber ohne Bereitschaft nützt das alles nichts.
Ein untypisches Thema zum Schluss: Wie wichtig ist Humor für Heilung?
Er ist essenziell. In der Trauerarbeit sagt man: „Trauer und Freude sind Geschwister.“ Ich finde, das gilt auch für Beratungen. Manchmal hilft ein Lächeln oder ein Perspektivwechsel mit einem Augenzwinkern mehr als jedes schwere Gespräch. Humor bringt Leichtigkeit in schwierige Prozesse. Und Leichtigkeit heilt.
Wenn Sie sich eine Zukunft der Beratung wünschen dürften – wie sähe sie aus?
Interdisziplinär. Ich wünsche mir, dass Schulmedizin, Psychotherapie, energetische und alternative Methoden gleichberechtigt zusammenarbeiten. Dass der Mensch als Ganzes gesehen wird – mit allem, was ihn ausmacht. Ohne Schubladen, ohne Besserwissen. Einfach als Mensch.
Über Yvonne Lehner
Beraterin für Körper, Geist und Seele | Gründerin von ANBEGINN, Hamburg
Yvonne Lehner ist die Frau hinter ANBEGINN – einem einzigartigen Raum in Hamburg, der Beratungspraxis, Buchhandlung und Messeplattform vereint. Mit über 20 Jahren Erfahrung in energetischer Heilarbeit, Sexualberatung, schamanischen Techniken, Körpertherapie und Selfness-Coaching begleitet sie Menschen auf dem Weg zu mehr Bewusstsein, Würde und innerer Freiheit. Ihre Stärke: interdisziplinäre Tiefe ohne Dogma – und eine Sprache, die Seele und Nervensystem zugleich berührt.
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